Sie sind Geschichtenerzählerin? Und was machen Sie so beruflich?
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Sie sind Geschichtenerzählerin? Und was machen Sie so beruflich?

Text © Uschi Erlewein

Aktualisiert: 1. August 2021


Obwohl ich schon öfters über meinen Beruf als Geschichtenerzählerin ( z.B. Erzählen: Beruf oder Hobby? ) geschrieben habe, möchte ich die Gelegenheit beim Schopfe packen und bei der Blogparade: „Und was machen Sie so beruflich?“ mitmachen.

Geschichtenerzählerin – ein Beruf, so alt wie die Menschheit

Viele Beiträge der Blogparade von Wibke Ladwig ( Sinn und Verstand Kommunikationswerkstatt ) drehen sich um neue Berufsfelder, die mit dem Internet, mit Social Media entstanden ist.

Im Gegensatz dazu ist mein Beruf sehr sehr alt. Erzähler, Märchenerzähler, Geschichtenerzähler gibt es schon seit Tausenden von Jahren.

Doch auf mehr Verständnis treffe ich deswegen nicht, als die Kollegen mit den neuen Berufen.

„Ach Sie sind Märchenerzählerin? Ja … und was machen Sie sonst so beruflich?“

„Ich bin Geschichtenspielerin, denn ich erzähle nicht nur, sondern spiele traditionelle Geschichten aus anderen Kulturen. Ich schreibe die Geschichten neu, erzähle frei, spreche auch mit dem Körper, improvisiere und bin ein freies Solotheater – mit allem, was dazu gehört.“

Kann man denn davon leben? Und was machen Sie sonst so? Märchen erzählen ist doch ein Hobby …“

Kaum jemand hat eine genauere Vorstellung über die Arbeit einer Profierzählerin. Wohl auch, weil ein Gutteil der Arbeit nicht in der Öffentlichkeit geschieht.

„… erzählen tun wir doch alle … Ja, zu Zeiten der Gebrüder Grimm, da gab es noch Erzähler …  ja, im Orient, dort gibt es professionelle Geschichtenerzähler, aber bei uns ?!?“

Als Erzähler, Märchenerzähler, Geschichtenerzählerin steckst du in Deutschland häufig in einer Schublade mit „Kinderkram, Gutenachtgeschichte, die Ewiggestrigen, Esoterik, Hausfrauenhobby, altmodisch und nicht zeitgemäß …“ und ist nur von wenigen Menschen als Beruf oder Kunstform anerkannt.

Dazu kommt noch, dass der Begriff sowohl für freie Erzähler, wie mich, als auch für Filmemacher, Schauspieler und für Autoren gleichermaßen benutzt wird.

All das macht, dass ich mich immer wieder erklären muss.
Dabei wäre der einfachste Weg: in eine Aufführung kommen und es erleben.

Nach dem Auftritt werde ich dann oft mit erstaunten Augen gefragt:

„Sagen sie mal, haben Sie Schauspiel studiert? Haben Sie eine Ausbildung zur Geschichtenerzählerin? Ich kann mir nicht vorstellen, dass man so erzählen kann … einfach nur soooo.“

Wenn ich erwähne, dass ich seit 2004 regelmäßig im Stuttgarter Völkerkundemuseum (Linden-Museum) erzähle, dann wird sofort angenommen, dass ich dort eine feste Anstellung habe.

Tatsächlich bin ich aber freischaffend als Künstlerin. Und lebe noch immer frei und schaffend!

Artikelfoto: Und was machen Sie so beruflich?

Lesung oder Erzählaufführung, das ist die Frage

Oftmals werden auch Lesungen als Erzählung bezeichnet. Immer wieder kommen Zuschauer und fragen:

„Geht es hier zur Lesung?“

Und sind dann entsprechend überrascht, wenn ich ohne Buch, ohne Stuhl und Leselampe auf der Bühne stehe und frei erzähle, singe, mit der Stimme spiele, Geräusche mit den Mund erzeuge. Und das alles ohne große Multimedia Show, ohne technische Geräte. Sondern hauptsächlich mit dem, was ich immer mit mir trage: meiner Stimme, meinen Körper, meinem Sein.

„Da steht die einfach hin, beginnt zu spielen und zu erzählen … und nimmt uns mit in andere Welten.“

„Manchmal verschwinden sie ganz und man sieht nur noch, was sie erzählen …“

Bei Absprachen mit Veranstaltern betone ich immer, das ich eine freie Bühne oder einen leeren Platz im Veranstaltungsraum brauche, weil ich im Stehen erzähle und mit Körpersprache arbeite.

Komme ich dann am Veranstaltungsort an, stehen da:

ein Tisch mit Leselampe und ein Stuhl. Wie bei einer Lesung. Oder es steht ein riesengroßer Schaukelstuhl für die „Märchentante“ auf der Bühne.

Neuerzählung

Selbst Leute, die mich und meine Arbeit seit Jahren kennen, sind noch immer überrascht, dass ich nicht eine Geschichte aus einem Buch nehme und auswendig lerne, sondern sie selbst schreibe und inszeniere.

Die Form, in der ich eine Geschichte spiele, ist also immer meine eigene Schöpfung.

Ich folge dabei meiner Vision, wie eine Geschichte klingen soll. Komplexes ausdrücken in möglichst wenigen Worte, in einfacher Sprache und kurzen Sätzen. Verschachtelte Sätze, wie aus manchem Märchenbuch, sind nicht mein Ideal – eher die poetische Bilderwelt eines Gedichts …

Ich bewege mich meist zwischen Schauspiel, Erzähltheater, Vortrag, Reisebericht … deshalb nenne ich mich Geschichtenspielerin.

Es gibt noch eine Gedankenkette, der ich häufig begegne: Erzählerin = Geschichtenerzählerin = Märchenerzählerin = Grimms Märchen = Kinderveranstaltung

Sicherlich trifft das auf so manche Erzähler zu, doch ich finde mich nicht wirklich darin. Obwohl einige meiner Programme für auch reine Kindergruppen geeignet sind, würde ich mich nicht als Kindertheater bezeichnen.

Ich erzähle keine Grimms Märchen und meine Programme mit Geschichten aus aller Welt ( z.B. mit Geschichten aus Tibet, vom Polarkreis, Märchen aus der Mongolei, der Südsee … ) sind hochinteressant für Erwachsene. Ein Großteil meines Repertoires ist generationsübergreifend.

Artikelfoto: Und was machen Sie so beruflich?

Märchen für Erwachsene

Erst wenn Zuschauer erleben, wie sich bei meinen Erzählprogrammen Reiseerlebnisse, Informationen über andere Kulturen mit traditionellen Märchen und Mythen vermischen, dann begreifen sie, dass diese Art von Erzählen sehr wohl etwas für Erwachsene ist.

Ich spiele nicht nur Märchen. Ich wähle kulturtypische Geschichten aus, Erzählungen die die Werte einer Kultur veranschaulichen, mich interessieren, ansprechen und zu meinem Erzählprogramm passen.

Dabei ist mir nicht so wichtig, zu welcher literarischen Gattung die Geschichte gehört, ob Sage, Legende, Mythos, Märchen, Gleichnis oder wahre Begebenheit.

„Darf ich mich vorstellen: ich bin Uschi Erlewein, die Geschichtenspielerin.“

Das Spektrum von Reaktionen geht von Bewunderung:

„Wie schöön! Märchenerzählerin … das wäre auch mein Traumberuf …“

über:

„Aaaaach, ( lange Pause ) das ist was für Kinder?“
„Was? Das kann man lernen??? Sie haben eine Ausbildung dafür?!?!?!???“

bis zu:

„Ach, Sie sind dann einer dieser Hungerleider … Sie haben doch sicher einen gut verdienenden Ehemann … zahlen Sie denn überhaupt Steuern? Krankenversichert? Rentenversichert?“

Nebenbei: bei diesem Gesprächspartner wartete ich nur noch darauf, dass er mich auffordert meine Kontoauszüge hervor zu holen!

Abwertung ist oftmals versteckt, kommt häufig bei Honorarverhandlungen zum Vorschein, selten so offen und direkt.

Frei und Schaffend als Geschichtenerzählerin

Meine Arbeit als Geschichtenerzählerin ist nicht auf die wenigen Stunden der Aufführungen beschränkt.

Einen Großteil der Zeit verbringe ich damit zu lesen, bin stets auf der Suche nach Geschichten, zu recherchieren und neu zu schreiben, Werbung zu machen, mich im Internet zu präsentieren, Fotos zu bearbeiten, Flyer zu entwerfen. Texte schreiben, beschreiben was ich mache, Anfragen beantworten, Absprachen mit Veranstaltern, Terminvereinbarungen, Blogbeiträge, Rechnungen und Verträge schreiben, Video schneiden, Kostüme waschen, Projekte entwerfen …

Es gibt immer etwas zu tun!

Gerade die Vielfalt der Tätigkeiten lässt keine Langeweile aufkommen. Ich mache sowohl Organisation, Büro, Marketing, Social Media, Graphik. Bin Kostümbildnerin, Buchhalterin, Sekretärin, Bühnentechnikerin, Autorin …

und das alles in Personalunion.

Das alles ist eher die Basis für das, was mir am wichtigsten ist:

Vor dem Publikum stehen, in die Geschichten eintauchen und die Zuschauer in diese Wachträume mitnehmen.

Es ist ein Suchen und wird es hoffentlich immer bleiben. Ich bin es gewöhnt, mein Leben lang.

Schon seit so vielen Jahren bin ich freischaffend als Künstlerin und bin seit über 35 Jahren gewöhnt, dass ich meine Arbeit immer wieder neu definiere. Deshab muss ich die genaue Ausrichtung meiner Arbeit immer wieder neu positionieren. Entweder ich erkenne, dass ich künstlerisch nicht auf dem richtigen Weg bin. Oder ich sehe, dass ich nicht von meiner Arbeit leben kann: dann muss ich mir etwas anderes überlegen, die Richtung wechseln und mich neu orientieren.

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Wer schreibt hier:

Ich bin Uschi Erlewein und blogge hier über das Leben als freischaffende Künstlerin. Ansonsten bin ich hauptberufliche Erzählerin und habe mich auf Weltgeschichten aus fernen Ländern spezialisiert. Um die Geschichten gut erzählen zu können, reise ich auch schon mal in die Mongolei, aufs Dach der Welt, nach Kirgistan, Bali oder zu indianischen Erzählern.